Falsche Gefühle und echte Badefreuden
Bild Ernst Legal von Deutsche Fotothek, CC BY-SA 3.0
Paul Hindemiths Oper „Neues vom Tage“ – Folge 4
Zwei Nummern der Oper seien näher betrachtet.
Der Humor des mit „Duett-Kitsch“ überschriebenen Zwiegesangs im Museum (I,4) wächst aus der Uneigentlichkeit der Situation. Während die Regieanweisung von Laura fordert, einige „Mühe“ aufzuwenden, um sich „in eine falsche Ekstase“ zu steigern, soll dem „schönen“ Herrn Hermann anzumerken sein, „daß er lediglich eine Kundin gut bedient.“ Laura ist sich völlig über das bloße „Geschwätz“ des fingierten Leidenschaftsausbruchs im Klaren. Pseudopoesie und Trivialdramatik wie des professionellen Scheidungsgrunds „Aufrauscht mein Blut in wilden Lavaströmen“ und seiner Kundin Replik „Sie Wilder! In Ihnen will ich vergehen“ häufen Stilblüten aus Librettistik, Rührstück und Groschenroman. Melodisch scheinen Puccini, Richard Strauss, Korngold und Schreker gleichsam als ihre eigenen Epigonen zum Verwechslungs- und Unterbietungswettbewerb angetreten. Zwar greifen die Kantilenen weit aus, doch fehlt ihnen die innere Spannung und Raffinesse. Aus dem Baukasten und nach Gebrauchsanweisung kombiniert, kommen sie wie aus zweiter oder gar dritter Hand daher. Souverän meidet Hindemith jede Spezifik seines melodischen Materials. Mündet das Duett in die unisono gesungene „Ekstase“ leisten Textdichter und Tonsetzer vereint und genüsslich den poetischen und kompositorischen Offenbarungseid.
Lauras die Warmwasserversorgung lobpreisendes Arioso aus dem den zweiten Akt eröffnenden fünften Bild verdankt sich musikalischen Scherzen, wie sie sich Darius Milhaud 1919 mit der Vertonung eines Prospekts für Landmaschinen, im Jahr darauf dann mit dem „Catalogue de Fleurs“ und Hanns Eisler 1926 mit seinen „Zeitungsausschnitten“ geleistet hatten. Ganz auf dieser Linie besingt nun die nach dem Skandal im Museum in ein komfortables Hotel geflüchtete Scheidungswillige die Vorzüge des Wannenbäder zu jeder beliebigen Tages- und Nachtzeit gestattenden elektrischen Durchlauferhitzers gegenüber antiquierten Gasbadeöfen. Das Vorspiel zum Arioso bemüht faustdick ironisch die Würdeformel der gravitätischen französischen Ouvertüre. Gleich dem Lauras Haut schmeichelndem wohltemperierten Nass prickeln der Badenden Koloraturen. Aus lombardischen Rhythmen gewinnt die Singstimme ihr Leichtfüßiges und Zierliches. Auf dass sich überhaupt Spannung und musikalischer Aufschwung ergebe, hat Laura die unkomfortablen Gasbadeöfen zu verwünschen. Freilich nur, um auch vokal in die Wohlfühlzone des Badegenusses zurückzukehren.