Freigang an der Saar

Das Saarländische Staatstheater
Das Saarländische Staatstheater (Foto privat)

Eine Theaterreise in die Modellregion

Ich beschreibe meine Eindrücke im Wissen, dass die Novellierung des Bundesinfektionsschutzgesetzes der saarländischen Öffnungsstrategie den Garaus machen wird. Daher neigt mein Gemüt aus doppeltem Grund zur Elegie. Zum einen schmerzt der Freiheitsentzug nach der Rückkehr aus der Kapitale des kleinen Bundeslandes desto heftiger. Zum anderen, weil die neuen Durchgriffsrechte des Bundes nicht allein die an der Saar genossenen Lizenzen erledigen werden. § 28b der Gesetzesnovelle wird noch weitaus tiefer in die Privatissimi der Menschen eingreifen, als sie bislang gewohnt sind. Doch zurück ins Ländchen an der französischen Grenze. Ich fuhr nach Saarbrücken, um die deutsche Erstaufführung von Pascal Dusapins vor anderthalb Jahren am Brüsseler La Monnaie herausgekommenen „Macbeth Underworld“ zu besuchen, einem auf Shakespeare fußenden, packend vertonten und am Saarländischen Staatstheater kongenial realisierten Opernspuk. Selbst die New York Times hatte sich eingefunden, um aus dem gegenwärtig einzigen deutschen Theater zu berichten, das vor physisch anwesendem Publikum spielt, wenn auch die Platzkapazität nur zu etwa einem Viertel genutzt wird. Denn das Hygiene-Konzept ist streng: Der Covid-19-Test darf bei Vorstellungsschluss nicht älter als 24 Stunden sein. Vor Betreten des Hauses werden Testbescheinigung und Personalausweis abgeglichen. Ein blaues Bändchen kennzeichnet den legitimierten Besucher. Durchgehend herrscht Maskenpflicht. Gastronomische Angebote sind gestrichen. Angefangen vom Test bis hin zur aufwendigen Einlasskontrolle brachte ich die Prozeduren folgsam hinter mich, um nach Monaten der verordneten Abstinenz endlich wieder im Theater zu sitzen, zumal in einer Produktion, die sich mit Verve für das zeitgenössische Musiktheater ins Zeug legt.

Saarländisches Staatstheater, Zuschauersaal
Saarländisches Staatstheater, Zuschauersaal (Foto privat)

Der Abend trug dazu bei, den mit der Architektur des Hauses verbundenen Ungeist immer von neuem zu bezwingen. Der 1938 in Anwesenheit von Hitler, Goebbels und Himmler als Provokation gen Frankreich eröffnete Bau, der zunächst unter „Gautheater Saarpfalz“ firmierte, gab sich – auch wenn die Stadt Saarbrücken devot mehr als die Hälfte der Baukosten übernahm – als Geschenk und Dank des Despoten an die regionale Bevölkerung für die Saarabstimmung drei Jahre zuvor aus, mit der das unter Völkerbundmandat verwaltete Gebiet sich dem Deutschen Reich anschloss. Hitlers bevorzugter Theaterarchitekt Paul Otto Baumgarten versah das als Kulturbunker wider den französischen „Erbfeind“ instrumentalisierte Haus mit rohem Pseudoklassizismus samt plüschiger „Führerloge“. Bei der Sanierung zwischen 1985 und 1989 hat Gottfried Böhm derlei Unerfreulichkeiten zu beseitigen oder mindestens zu mildern gesucht. Der sonst kühn zu Werk gehende Baumeister erlegte sich dabei merkwürdige Zurückhaltung auf. Ganz anders das Deckengemälde von Peter Schubert, der aus dem Informel kommend seine im Kolorit von barocken Deckenmalereien angeregten Farberuptionen über die Kuppel des Zuschauersaals verteilte.

Saarländisches Staatstheater, Zuschauersaal, Detail des Deckengemäldes von Peter Schubert
Saarländisches Staatstheater, Zuschauersaal, Detail des Deckengemäldes von Peter Schubert (Foto privat)

Dass die Übertitel auch auf Französisch mitlaufen, ist eine ebenso praktische Dienstleistung für die Gäste aus dem Nachbarland wie symbolische Geste, die ganz handfest das Gegenteil dessen bekundet, was die braune Bande hier einst trieb. Leibhaftig im Theater sitzen, sich an der Unmittelbarkeit der Bühne erfreuen, des Hauses Geschichte direkt auf sich einwirken zu lassen, bekundeten intensive Freiheitsmomente. Das Glas Wein in der Saarbrücker Altstadt nach der Vorstellung und gegen Vorlage der Testbescheinigung bescherte einen weiteren Augenblick der angenehmen Überraschung. Flugs gesellten sich Unbeschwertheit und Heiterkeit hinzu. Das Zweite Futur ist ein Vergangenheitstempus, aber keine Frage: Das Saarland wird es besser gehabt haben.

Freiheitsgenuss beim Glas Wein
Freiheitsgenuss beim Glas Wein (Foto privat)

Hier geht es zu meiner Besprechung von >Macbeth Underworld< in Saarbrücken.

Kommentar schreiben