Gebrauchsmusik im Opernhaus
Paul Hindemiths Oper „Neues vom Tage“ – Folge 3
Kaum mehr als vierzig Musiker bevölkern den Graben. Die hohen Streicher dünnt Hindemith bis auf lediglich sechs Violinen aus. Das Blech ist doppelt besetzt. Üppig das Holz, für das die Partitur auch ein Alt-Saxophon vorsieht. Bei den Zupfinstrumenten gesellen sich zur Harfe Mandoline und Banjo. Die Perkussion verzeichnet außer dem Üblichen drei elektrische Klingeln. Einzig ein vierhändig zu spielendes Klavier bestreitet das Vorspiel zum sechsten Bild. Selten treten Orchester und Vokalparts auseinander. Wie fade Massenkonfektion durch Rüschen und sonstiges billiges Beiwerk aufgehübscht werden soll, camoufliert der Komponist die gewollt unspezifische Melodik zuweilen mit Koloraturen. Alfred Einstein wies in seiner scharfsinnigen Besprechung der Uraufführung auf die „anonyme Melodik“ des Werks hin. Wirklich überwiegt darin das bloß Floskelhafte. Hindemith lässt in Rhythmik und Melodie kaum mehr denn Schlüsselreize anklingen. Indessen reichen die spätromantischen und jugendstilhaften Muster noch auf ihrer orchestralen und vokalen Schwundstufe dazu hin, das Appetenzverhalten der Zuhörerschaft zu wecken und ihr Konsumbedürfnis zu befriedigen.
Ebenso bedient sich Hindemith bei jazzigen Tanzrhythmen und Couplets aus Operette und Kabarett. Dies genügt ihm, um den Zeitgeist perfekt zu konturieren. Die Enthierarchisierung der Gattungen, das Eindringen von Revue und Kabarett und mit ihnen der dort verwendeten Gebrauchsmusik in die Hochkultur der Oper wirkt programmatisch. Nivellierung der Genres beschreibt das Leitprinzip des dramaturgischen und kompositorischen Verfahrens in „Neues vom Tage“. Durch die Reduktion der Musik auf die bloße Signalwirkung und Anspielung führt Hindemith die durchökonomisierte Produktionsweise der musikalischen Unterhaltungsindustrie bis in deren letzte Konsequenz. Freilich geschieht das ohne moralisch erhobenen Zeigefinger oder ideologische Scheuklappen. Hindemith ist Mensch seiner Zeit, sein Impetus nicht übelwollend. Vielmehr nimmt er das Treiben der Mitgeborenen zugleich nüchtern und amüsiert wahr. Überhaupt scheint der banalisierenden Ist-Form seiner musikalischen Faktur eine durchaus komplexe Möglichkeitsform unterlegt.
Hier können Sie Teil 3 der Oper hören: