Hilft bei Moralinvergiftung
Paul Hindemiths Oper „Neues vom Tage“ – Folge 1
Wie sehr musste ein Bühnenwerk ins Schwarze treffen, wenn der Erzhetzer Goebbels in seiner Sportpalast-Rede vom siebten Dezember 1934 darüber geiferte: „Das ist es ja, dass Gelegenheit nicht nur Diebe, sondern auch atonale Musiker macht, die, um der Sensation zu dienen und dem Zeitgeist nahezubleiben, nackte Frauen auf der Bühne in obzönsten und kitschig-gemeinsten Szenen im Bade auftreten lassen und sie […] mit den misstönendsten Dissonanzen einer musikalischen Nichtskönnerei umgeben.“
Goebbels zielte auf Paul Hindemiths Oper „Neues vom Tage“. Das am achten Juni 1929 in der Berliner Kroll-Oper unter dem Dirigat von Otto Klemperer uraufgeführte Werk war keine völlige Novität mehr. Der prominenteste Kabarett-Texter seiner Zeit hatte das Libretto verfasst, Marcellus Schiffer (1892–1932). „Neues vom Tage“ treibt frivolen Schabernack mit dem in fortschrittlichen Kreisen schon damals als antiquiert empfundenen Scheidungsrecht nach dem Schuldprinzip: Das trennungserpichte Ehepaar Laura und Eduard stolpert von einem Missgeschick ins nächste. Es fehlt schon am juristisch unerlässlichen Scheidungsgrund. Selbst professionelle Hilfe führt nicht zum Ziel. Denn der vom Ehepaar engagierte Nebenbuhler in Gestalt des „schönen“ Herrn Hermann entfacht, als ihn Eduard verabredungsgemäß beim Stelldichein mit Laura im Kunstmuseum zu überraschen vorgibt, solche Eifersucht im Noch-Gemahl, dass eine berühmte Venusstatue zu Bruch geht. Haft für und exorbitante Schadenersatzforderungen gegen Eduard schließen jeden weiteren Gedanken an einen kostspieligen Scheidungsprozess aus. Immerhin verguckt sich – wider die Gebote seines Berufsstandes – der professionelle Scheidungsgrund in Laura und beschleicht sie im zwischen zwei Gästezimmern gelegenen Bad eines ehrbaren Hotels. Wie gerufen betritt Lauras Zimmernachbarin das Bad, schreit Skandal und ruft den entrüsteten Hoteldirektor samt einer Armada pikierter Zimmermädchen auf den Plan. Künftig füllen der Kunstzertrümmerer Eduard und die durch den Eklat in der Hotelbadewanne kompromittierte Laura gemeinsam die Klatschspalten. Um endlich die Kosten für den Scheidungsprozess aufzubringen, lassen sich die beiden auf Angebote aus der Unterhaltungsindustrie ein. Allabendlich reproduziert das Ehepaar wider Willen seinen Zwist als Hauptattraktion der namhaftesten Cabarets und Varietés auf dem Erdenrund. Mit der Zeit wächst aus dem geteiltem Los neuerliche Zuneigung. Doch hintertreiben Publikum und Medien das sich anbahnende happy end. Längst haben Paar und Darbietung Warencharakter angenommen. Laura, Eduard und ihre Story sind Markenprodukt.
Hier können Sie Teil 1 der Oper hören: