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Positives Vorurteil als Vorverurteilung

Erschienen: 10. Dezember 2019
Otto Mueller – Zwei Zigeunerinnen – ca1923 / Prudent-Louis Leray – Poster for the première of Georges Bizet’s Carmen

Das Suspekte ziganer Stoffe in den Künsten

Das Kölner Museum Ludwig steht gegenwärtig in der Kontroverse, weil es das Gemälde >Zwei Zigeunerinnen mit Katze< des Expressionisten Otto Mueller aus den Jahren 1926/27 als Bestandteil der bis heute gegen Sinti und Roma grassierenden Vorurteile zeigt.  (Aus urheberrechtlichen Gründen bilde ich hier ein anderes Werk Muellers mit sehr ähnlichem Thema aus einer Privatsammlung ab.) Zwar nehmen die unter dem braunen Regime als >entartet< verfemten Bilder – Mueller starb 1930 – eine entschieden wohlmeinende, ins Leben der Fahrenden wie eintauchende Sicht ein,  doch darf
diese Betrachtungsweise auf die darunter verborgenen bedenklichen Klischees ebenso hinterfragt werden wie die unverhüllt vorverurteilende Perspektive.

Mueller spann die Legende, er selbst habe unter fahrendem Volk gelebt, die eigene Mutter gar stamme davon ab. Bei den Zeitgenossen firmierte der Künstler unter >Zigeunermueller<. Ob Otto Mueller daher der geeignete Kandidat ist, um eine Mentalität zu dokumentieren, die den versuchten Genozid der braunen Brut an Sinti und Roma Vorschub leistete, bezweifle ich. Angesichts der Biographie Muellers zeigt sich eben nicht, was die malerische und dichterische Behandlung, ja Verwertung, des Sujets  seit dem letzten Viertel des 18. Jahrhunderts oft prägt, die völlige Trennung von oft erosgeladener verklärender Imagination und dem tatsächlichen Leben der Fahrenden allenfalls geltender Ignoranz. Byam Shaws schwülstige >Carmen< aus dem Jahr 1910 lebt den einzig auf sexuelle Schlüsselreize fixierten Voyeurismus lefzengeifernd aus.

Byam Shaw, Carmen (1910)

In Goethes >Goetz< heulen Fahrende wie mit den Wölfen als schauerhaft nachtaktiv-attraktive Naturwesen, Bizets >Carmen< agiert dem Sittenkodex nicht unterworfen jenseits von Gut und Böse. Verdis Azucena verübt ihre vor Durst nach Vergeltung irre Rachetat. Auf Goethe, Verdi, Bizet
und auch den Maler Byam Shaw trifft die schnittmengenarme Parallelwelt ihrer Kunstübung und der faktischen Verhältnisse von Sinti und Roma zu.

Obgleich keiner der Schöpfer dieser Werke in direktem Zusammenhang mit rassistischer Ausgrenzung und Gewalt bis hin zum Genozid steht,  verdient untersucht zu werden, ob darin eine zeitgeistige Unterströmung wirkt, die begünstigte, was an Sinti und Roma verbrochen wurde und wird.  Otto
Mueller freilich in diese Linie einzureihen, schlägt fehl. Wenn das Kölner Museum Ludwig am Beispiel der >Zwei Zigeunerinnen mit Katze< Muellers Affinität zu den Fahrenden als sentimentale und klischeebehaftete bloße Kehrseite antiziganistischer Gehässigkeiten nachweisen möchte,  versucht sich das Institut an der falschen Person und am falschen Werk.

Otto Mueller, sog. Zigeunermadonna (1927)

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