Passgenauer Dialogfetzen
Ein Gesellschaftsspiel
Vor wenigen Tagen saß ich bei einem Glas Wein in der Maisonne vor einer Bar am Rand eines der angenehmeren Plätze einer deutschen Großstadt. Am Nebentisch unterhielt sich ein Paar in fortgeschrittenem mittleren Alter, das offenbar weder verheiratet war, noch Haus oder Wohnung teilte. Nachdem die Frau die golferischen Fortschritte ihres Sohnes gepriesen hatte, klagte der Mann über die fortschreitende Popularisierung dieser Sportart. Der Frau schien inzwischen das Thema aus einem Grund nur bemerkenswert, nämlich um diese Frage loszuwerden: „Hast du noch den schönen Golfschläger, den ich dir aus England mitgebracht habe?“ Worauf der Mann sie beschied: „Sicher, aber was soll ich damit anfangen?“ Es folgte eine knappe Erläuterung, weshalb das insulare Mitbringsel für den gegenwärtigen Golfsport untauglich sei. Längst hörte ich nicht mehr hin. Der Dialogausschnitt genügte, um ihn unterschiedlichsten dramatischen Kontexten einzuverleiben.
1) Arthur Schnitzler
Sie will ihn halten. Er wird sie verlassen.
Sie: (Sucht verzweifelt einen Anlass zur Fortsetzung des verebbenden Dialogs.) Hast du noch den schönen Golfschläger, den ich dir aus England mitgebracht habe?
Er: (Sinnt aufs Ende des Gesprächs. Hat längst eines der Schnitzlerschen >süßen Mädel< im Kopf.) Sicher, aber was soll ich damit anfangen?
2) Hugo von Hofmannsthal
Elegische Stimmung. Schwierig ist’s, einander zu finden; schwieriger noch, einander Liebe zu gestehen.
Sie: (Evoziert – an der Oberfläche im Konversationston, doch in der Tiefe empfindungsinnig – den Golfschläger als Dingsymbol.) Hast du noch den schönen Golfschläger, den ich dir aus England mitgebracht habe?
Er: (Zögert die feste Bindung an sie heraus, weil ihn Erlebnisse plagen, deren Nachwirkungen er ihr nicht zumuten möchte. Von des Dingsymbols Aura dazu bewogen, richtet er seine vermeintliche Gegenfrage an die eigene Existenz.) Sicher, aber was soll ich damit anfangen?
Neben der Wiener Moderne um 1900 kam mir das handfestere amerikanische Familiendrama in den Sinn.
3) Edward Albee
Das Paar hasst sich wie die Pest. Doch kann auch wechselseitige Verachtung einigen Komfort bieten.
Sie: (Geht davon aus, dass er das Sportgerät längst entsorgt hat, lauert auf die Gelegenheit zur Anklage.) Hast du noch den schönen Golfschläger, den ich dir aus England mitgebracht habe?
Er: (Hat das Eisen nur aus Nachlässigkeit nicht auf den Müll geworfen. Jetzt aber kann er ihr den Wind aus den Segeln nehmen. Sie ist dann reif für die volle Breitseite.) Sicher, aber was soll ich damit anfangen?
Auch auf die Oper wirkt der Dialogausschnitt inspirierend.
4) Giacomo Puccini auf einen Text von Luigi Illica und Giuseppe Giacosa
Sie und er stammen aus gesellschaftlich unvereinbaren Milieus. Größter Liebe zutrotz wird er sie am Ende umbringen. Oder sie ihn.
Sie: (Ein leicht flatterhaftes Blut aus gräflichem Haus, letztlich aber zur Treue entschlossen. Einschmeichelnd langsamer Walzer.) Avete ancora quel bella mazza da golf che vi ho portato dall‘ Inghilterra?
Er: (Ein kleiner Angestellter im Leihhaus, der, um ihr einen Strauß sündhaft teurer Rosen zu verehren, eines der Pfänder unterschlagen hat. Golf ist ein für ihn unerschwinglicher Sport. Empfindsam-melancholische Kantilene. Bereits leicht depressiv.) Certo, ma cosa dovrei farci?
Wenn Sie mögen, setzen Sie das Spiel fort.
Gute Unterhaltung.