Der wahre Fluch des Pharaos

Der Mondgott Chons mit den Gesichtszügen des jugendlichen Tutanchamun
Der Mondgott Chons mit den Gesichtszügen des jugendlichen Tuatanchamun. Foto: Abou Yassin

Tutanchamun-Event in Hamburg

Mag sein, die Zukunft liegt in Ausstellungen wie dieser: immersivem Sensationsheischen, virtuellen Welten aus dem Videospiel, darauf zielend, die Leute zu beschwatzen, sie fänden sich in vergangenen Zeiten und Kulturen wieder. Erklärung und Verstehen gelten wenig, Emotionen beinahe alles. So in den Hamburger Gaußhöfen, wo die Show gastiert.

Doch kein Zweifel, in der Tat eignet sich die Gruft des jugendlichen Königs für das immersive Ausstellungsprojekt. Felsengrab und Beigaben fanden sich unberührt. Die Expeditionen des Entdeckers Howard Carter sind fotografisch gut dokumentiert. In ihrer äußeren Erscheinung gestatten daher die Realien die virtuell einwandfreie Reproduktion.

Theaterrequisiten und überständige Videowelten

Freilich zeigt sich die Hamburger Ausstellung auf blanken Kommerz getrimmt. Hauptattraktion des ersten Raumes ist eine Installation mit den replizierten Sarkophagen, der Maske und Mumie des Pharaos, als handele es sich um eine russische Matryoshka-Puppe. Die Schaustellung ist inkonsequent: Die Replik des äußeren Sarkophags steht an der Wand, während weitere Elemente an Fäden aufgehängt im Raum schweben. Das Imitat der Goldmaske strahlt weder die Materialität noch den blassesten Schimmer der Aura des Originals aus. Ein bloßes Theaterrequisit.

Der nächste Raum möchte mit einem 360 Grad-Panorama aufwarten. Der rechteckige Grundriss indessen schließt den Surroundeffekt der klassischen Vertreter des Genres aus. Weder stellt sich die illusionistische Wirkung jener Panoramen ein, wie sie seit den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts zunächst in Paris Popularität erlangten, noch die heutiger Rund- und Gesamtschauen. So ist denn Werner Tübkes Bad Frankenhausener Bauernkriegspanorama von 1987 dem, was die Hamburger Schau offeriert, meilenweit voraus. Zwar ermöglicht die filmische Lösung nahtlose „Kulissenwechsel“, doch bleiben die altägyptischen Szenarien einerseits der illusionistischen Theatermalerei des vorvergangenen Jahrhunderts verhaftet, um andererseits dem Massengeschmack willfahrenden Videospielen zu entspringen. Ob sie nun von der einen oder den anderen borgen, immerfort bedienen die Architektur- und Naturstimmungen bloße Klischees vom alten Ägypten. Nicht anders das falsche Pathos der die schwülstigen Bilder mit triefender Möchtegern-Poesie aus dem Off feiernden Sprecherstimme.

Final und wohl als Höhepunkt des Rummels gemeint, dürfen sich die Besuchenden im letzten Raum Augmented-Reality-Brillen aufsetzen lassen, um durch einen nicht einmal achtminütigen Videofilm zu spazieren, bei dem sie sich zunächst in des Königs Grabkammer wiederfinden. Dort ist ihnen ein Blick in den Pharaonensarkophag vergönnt. Anschließend gelangen sie ins Zelt Howard Carters. Das von der Werbung verheißene Totengericht findet nicht statt. Vielmehr wandern die Bebrillten über Wolken und durch die Wüste. Dass „Wirklichkeit“ suggeriert werde, dazu reicht die Bildqualität des Videos nicht hin. Beim vermeintlichen Besuch in Tutanchamuns Gruft wissen sich selbst Phantasiebegabteste in künstlicher Umgebung. Animierte Welten auf der Höhe der Zeit rangieren in einer ganz anderen Liga.

Allenfalls jahrmarkttauglich

Jedes Kinderbuch über das alte Ägypten enthält mehr Fakten, als die Hamburger Show vermittelt. Deren Kurator Nacho Ares zählt nicht unter die Leuchten und Zierden der damit befassten wissenschaftlichen Disziplin. Ares ist Althistoriker, tummelt sich aber vorwiegend auf populärwissenschaftlichem Feld. Von fachlicher Exzellenz kann die Rede nicht sein. Die ist denn auch keinesfalls vonnöten. Gut denkbar, sie ist geradezu hinderlich. Denn die Münchner Veranstaltungsagentur, der sich das zweifelhafte Vergnügen verdankt, zielt – wenngleich mit unzulänglichen Mitteln – auf bloße Überwältigung. Da fährt jemand die billige Tour. Zu leicht durchschaubar ist das fade Kompott aus Bildwelten des 19. Jahrhunderts und Videospielen. Der Unterhaltungswert des rein kommerziellen Produkts ist entsprechend dürftig. Hinter jeder Ecke lugen Kitsch und Geldschneiderei hervor. Historisch und in ihrem Gehalt steht die Show in der Nachfolge der einstigen Kuriositätenkabinette auf den Jahrmärkten. Nur, dass dort die Mumien echter schienen. Kultur geht anders. Sobald sie sich freilich am bloßen Profit ausrichtet, wird sie stracks auf den Weg zum Hamburger Tutanchamun gelangen. Das wäre der wahre Fluch des Pharaos.