Machbuba – eine gestohlene Kindheit

Das Sklavenmädchen Machbuba, romantisierendes Phantasiebildnis auf Schloss Branitz
Das Sklavenmädchen Machbuba, romantisierendes Phantasiebildnis auf Schloss Branitz

Von Clemensfranz  -Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, Link

Sexueller Missbrauch unter dem Deckmäntelchen der Romantik

von Frederike Karg

Eine bekannte Eiskreation ist nach ihm benannt. Er gestaltete in Bad Muskau und Branitz Gartenreiche, die für Grünanlagen bis hin zum New Yorker Central Park Maßstäbe setzten. Die Grundschule in Bad Muskau trägt seinen Namen. Letzteres muss befremden. Es darf empören. Die Rede ist von Hermann Fürst Pückler, einem Kinderfreund der zweifelhaftesten Sorte. Einem Mann, der keine Bedenken trug, sich das zehnjährige Sklavenmädchen Machbuba als Sexspielzeug zu halten.

Biografisches

Pückler, ur- und hochadelig geboren, Herr über Schlösser, Ländereien, Parks und Dörfer, Lebemann, begabter Schriftsteller und begnadeter, an den besten englischen Vorbildern geschulter Landschaftsarchitekt, bereist – obwohl durch sein Bad Muskauer Projekt längst bankrott – seit 1834 standesgemäß mit Entourage den Orient bis hin nach Nordafrika. Seine Reiseberichte, die ihm immerhin den Lebensunterhalt finanzieren helfen, sind bei Redaktionen und Verlagen begehrt. Keine Frage, Pückler ist ein Medienstar, eine schillernde und in vornehmsten Kreisen ebenso hoch willkommene wie gefeierte Persönlichkeit.

Pückler in orientalischer Tracht
Pückler in orientalischer Tracht

Sklavenmarkt 

Die Äthiopierin Machbuba startet auf dem Sklavenmarkt in ein Leben, das selbst für Erwachsene nur schwer zu meistern gewesen wäre. Ob in Khartum oder Kairo, ist umstritten. Ihre Eltern wurden bei kriegerischen Auseinandersetzungen ermordet, das Mädchen selbst entführt und verschleppt. Wochenlange Wüstenmärsche zusammen mit anderer menschlicher Ware liegen hinter ihr. Überleben kann nur, wer intelligent genug ist, sich unterzuordnen und anzupassen.

Pückler kauft Machbuba

Der Fürst ist Gast des ägyptischen Vizekönigs Mehmet Ali Pascha. Der Despot hofft, Pückler werde ihm eine gute Presse verschaffen. Unter Ali Paschas Protektion genießt der Preuße die Opulenz des Orients und das süße Leben einer Männergesellschaft.

Auf dem Sklavenmarkt erblickt er Machbuba. Ihre Gestalt verhüllt ein nur hauchdünner Schleier. Als der Sklavenhändler ihn lüftet, hebt der winzige mit Muscheln verzierte Gürtel, den sie um ihre Hüften geschlungen hat, die Nacktheit eher noch hervor. Das Kind ist zehn, vielleicht zwölf Jahre jung; gut entwickelt, auf dem Weg zur Frau. Machbuba muss sich begutachten und betatschen lassen. Nicht allein Muskeln und Zähne werden geprüft. Pückler, ein Mann in den Fünfzigern, ist entzückt. Ohne zu feilschen zahlt er, was verlangt wird.

Die >Geliebte<

Der Fürst schreibt, er sei „zu sehr freier Preuße, um das gekaufte Mädchen als Sklavin zu behandeln“. Doch schmilzt der Vorsatz hin wie Wachs. Seine Briefe und Aufzeichnungen schwelgen angesichts von Machbubas vollendeten Proportionen und ihrem feingliedrigen Körperbau. Nicht zu vergessen, ihrer raschen Auffassungsgabe. Allesamt Eigenschaften, die Pückler zu ausgiebigen Studien an diesem bemerkenswerten Naturkind veranlassen. Er beginnt damit in seiner Schiffskabine auf dem Nil und setzt sie in zahlreichen Hotelschlafzimmern fort. Pückler macht das Mädchen zu seiner Mätresse.

Dennoch beschönigte ein Nachfahre des Fürsten das Abhängigkeitsverhältnis noch vor kurzem als „Liebesverhältnis reinsten Wassers“. In Wahrheit missbraucht der Lebemann das Kind. Er raubt ihm Stolz, Identität und jede Hoffnung auf Rückkehr in ins Heimatland.

Zwar gesteht Pückler, Machbuba sei ihm nicht „par amour“ zugetan. Doch stört ihn das nicht. Wie auch sollte das zehn oder elf, höchstenfalls aber zwölfjährige Mädchen Liebe für den in ihren Augen steinalten Mann empfinden?  Sie hätte seine Enkelin sein können. Auch ist der Fürst streng. Kleinste Vergehen ahndet er unangemessen hart. So sperrt er Machbuba ein und zeigt sich erst versöhnlich, als sie unter Schuldeingeständnissen ihr Gesicht auf seine Füße presst. Künftig gibt sich das Mädchen fügsam. Es ist lernfähig, gewitzt und clever genug, um zu merken, wo der Hase langläuft. Zwar trägt Machbuba keine Fesseln oder gar Ketten. Dennoch ist sie mit Leib und Leben von ihrem Eigentümer abhängig. Preußische Freiheit sieht anders aus. Liebe auch.   

Schnucke

Fast drei Jahre noch ist Pückler im östlichen Mittelmeerraum unterwegs. Machbuba ihm immer zu Willen. Daheim aber in Bad Muskau pocht Lucie von Hardenberg, eine Tochter des einstigen preußischen Staatskanzlers, sehnsüchtig auf die Rückkehr ihres Ex-Ehemanns. Das Paar hat sich Jahre vor dem Antritt der Reise einvernehmlich scheiden lassen, nachdem beiden bei der Gestaltung des Muskauer Parks das Geld ausgegangen war. Der Fürst sollte frei sein, um in England eine reiche Partie zu machen. Hermann und Lucie blieben dennoch einander mehr als freundschaftlich verbunden. Das exotische Mädchen im Schlepp des einstigen Gemahls empört die Staatskanzlers-Tochter.

Zähneknirschend verzichtet daher Pückler auf die orientalischen Genüsse und folgt zunächst unschlüssig und erst nach einigem Zögern dem Ruf der zwölf Jahre älteren Exgemahlin, die er nicht nur „Schnucke“, sondern in schönster ödipaler Komplexion auch „Mama“ nennt. Zurück lässt er jenen „kleinen Harem“ der – offenbar aus nicht nur einer einzigen minderjährigen Mätresse bestehend – seine Dienerschaft zu der Forderung bewogen hatte, es ihrem Herrn gleichzutun und sich wie er Sklavenmädchen zulegen zu dürfen. Einzig von Machbuba lässt der Fürst nicht ab.

Lucies Rolle mag dahingestellt bleiben: Plagte sie tatsächlich die Eifersucht auf eine – sei sie noch so exotisch – pubertierende Göre, die ihrem alternden „Lou“ den Kopf verdreht hatte? Oder war es ihr schlichtweg peinlich, den noch immer geliebten Exmann mit seiner kindlichen Gespielin in den Klatschspalten zu sehen. „Warum bin ich nicht jung und komme aus Abessinien?“, klagt Lucie.

Lucie von Hardenberg, Photographie aus dem Jahr 1853
Lucie von Hardenberg, Photographie aus dem Jahr 1853

Heimreise mit Machbuba im Gepäck

Als er 1839 nach Europa zurückkehrt, wird der Fürst von der allerersten Gesellschaft in Budapest und Wien bestaunt, hofiert und gefeiert. Der Lebemann und Partylöwe genießt glamouröse Empfänge, auf denen er sich mit dem hübschen Sklavenmädchen schmückt, das nicht nur intelligent und charmant ist, sondern ihm aus der Hand frisst. Entzückt sind die hochwohlgeborenen Kreise auch von den tollkühnen Reitkunststücken, die Machbuba auf dem Rücken der von ihrem Herrn mitgeführten Araberpferde vorführt. Welch grandiose Auftritte!

Krank und verlassen

Bald schon schwächelt das Sklavenmädchen. Der kalte Winter ist fatal für die Wüstentochter. Pückler lädt sie kurzerhand in einem Wiener Pensionat ab, als >Pflegetochter<. Kleine, nichtssagende Briefchen flattern hin und her: „Liebe Machbuba, […] dass du morgen die rote Jacke und die schwarzen Pantalons anziehst.“ Das Mädchen antwortet in dürftigstem Anfänger-Italienisch, nach heutigem Begriff auf Sprachniveau A 1, dem absoluter Beginner. Aus diesen Zeilen – wie oft geschehen – einen Briefwechsel unter Liebenden zu konstruieren, ist grotesk.

Machbuba magert ab bis auf die Knochen. Ärzte raten zu einer Kur. Pückler entscheidet für Marienbad. Doch kann der Aufenthalt dort keine Genesung mehr bringen. Der Lebemann nutzt das rege gesellschaftliche Treiben im Modebad zum Amüsement. Auch andere Mütter haben schöne Töchter.

Fürst-Pückler-Park, Bad Muskau
Fürst-Pückler-Park, Bad Muskau

Von Kora27 Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, Link

Die Heimkehr wird für den Erfolgsautor und Gesellschaftslöwen zum Desaster. >Schnucke< zeigt sich keineswegs amüsiert, als der Exgemahl mit dem sterbenskranken Sklavenmädchen als Mitbringsel in Bad Muskau eintrifft. Lucie weigert sich standhaft, Pücklers Gespielin zu empfangen. Für zwei Favoritinnen ist kein Platz im Schloss. >Schnucke< reist nach Berlin ab. Pückler folgt ihr auf Pfiff. Einst war Machbuba sein Augapfel. Nun lässt er sie fallen wie eine eine heiße Kartoffel.

Als Lust- und Vorführobjekt ist das Mädchen längst unbrauchbar. Schon streicht der Tod an den Mauern des Schlosses entlang. Um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen und – wie zu vermuten steht – auch aus Furcht vor der öffentlichen Meinung, weist Pückler den Arzt Dr. Freund an, sich um Machbuba zu kümmern. 

Das Ende

Das Mädchen ist jetzt vielleicht 13 oder 14, mit viel gutem Willen 15 Jahre alt. Sie beherrscht die Sprache des Landes, in das Pückler sie verfrachtet hat, nicht einmal ansatzweise. Machbuba hat zwei Suizidversuche hinter sich. Aus ihren letzten Wochen aber ist überliefert, dass sie weder weint noch jammert. Hat sie mit Pückler, >Schnucke<, den Sticheleien, Verletzungen und Verhetzungen abgeschlossen?

Dr. Freund schreibt lange, verzweifelte Briefe nach Berlin, in denen er den Krankheitszustand seiner jungen Patientin schildert und keinen Zweifel über die letale Gefahr lässt. Pückler antwortet nicht. Der Fürst hüllt sich in Schweigen.

Am 27. Oktober 1840 endet die >Liebesgeschichte<, die keine war. Nach nur sechswöchigem Aufenthalt in Bad Muskau stirbt Machbuba allein, heimatlos, hoffnungslos und ohne den Mann an ihrer Seite, der sie dem für sie lebensfeindlichen meteorologische wie gesellschaftlichen Klima ausgesetzt hatte.

Einige wenige Zeitgenossen, deren Sympathie und Mitleid sie geweckt hatte, stehen an ihrem Grab. Pückler aber feiert champagnerselig an >Schnuckes< Seite und mit einer illustren Gästeschar seinen 55. Geburtstag in Berlin.

Machbubas Totenmaske
Machbubas Totenmaske

Von MuesseEigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link

Fürst-Pückler-Grundschule

Trägt die Bad Muskauer Grundschule >Fürst Pückler< den passenden Namen? Keinesfalls darf der Versuch, mit Rücksicht auf den Leumund des Fürsten, ein Verhältnis krasser Abhängigkeit und nahezu rechtlosen Ausgeliefertseins in eine Liebesbeziehung umzudeuten, noch als à jour gelten. Denn – ohne Frage – war Pückler ein Mann mit pädophilen Neigungen. Am Sklavenmädchen Machbuba lebte er sie aus.

Gewiss erwarb der Hochadlige aus der Lausitz bleibende Verdienste. Der Park von Bad Muskau zählt zum UNESCO-Weltkulturerbe. Heute zum einen Teil auf deutschem Gebiet und zum anderen auf polnischem Gebiet gelegen, dient er der Begegnung und Völkerverständigung. Die Leistungen des weltgewandten Bonvivants als Landschaftsarchitekt und Reiseschriftsteller sind unbestreitbar. Der Nachruhm sei ihm gegönnt.

Doch bei aller Achtung vor diesem Lebenswerk fordert auch die Geschichte seines Missbrauchs am Sklavenmädchen Machbuba ihr Recht. Spätestens in unseren für das, was Kindern ihr angetan wurde, sensibilisierten Tagen, kann nicht länger gelingen, Pücklers Verhältnis zu Machbuba in eine romantische Liebesgeschichte umzufabulieren. Der Fürst trug an der gestohlenen Kindheit des Mädchens erhebliche Mitschuld. Machbuba konnte ihm nicht entkommen.

Eine Grundschule nach einem Mann zu benennen, der sich an einem Mädchen kaum älter als die Bad Muskauer Viertklässlerinnen verging, ist restlos aus der Zeit gefallen.

Mit der Umwidmung der FÜRST-PÜCKLER-GRUNDSCHULE in MACHBUBA-GRUNDSCHULE wären die Bad Mauskauer Ratsfrauen und Ratsherren in jedem Fall auf der sicheren Seite.

Machbubas Grab auf dem Friedhof der Jakobuskirche in Bad-Muskau
Machbubas Grab auf dem Friedhof der Jakobuskirche in Bad-Muskau

Von SchiDDEigenes Werk, CC BY-SA 4.0, Link

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