Zweite Anmerkung zu Goethe
:] Luis Ricardo Falero, Walpurgisnacht (Privatsammlung, Monza)
Wonnen der Gewöhnlichkeit
Oft nehmen Theaterbesucher und Leser die Walpurgisnacht auf dem Blocksberg im ersten Faust lediglich als skurriles Zwischenspiel wahr. Wird aber berücksichtigt, wie sehr dem Dichter an wiederholten Brockenbesteigungen lag, kommen angesichts der beflügelnden Kraft des dort imaginierten Treibens Zweifel auf. Gewiss, Goethe vermeidet die Klimax der Begegnung von Titelfigur und Gottseibeiuns. Mephisto lenkt seinen Vertragspartner mit zwei attraktiven Hexen davon ab. Faust begnügt sich mit einem – wenn auch reizvollen – Ersatzprogramm. Solche Oberflächlichkeit ist keine ihm wesensfremde. Den Drang zu dem, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, überzubetonen führt in die Sackgasse.
Von Tiefsinnigkeit kann bei Faust die Rede nicht sein. Viel zu deutlich steckt im Gelehrten der gewöhnliche Mann in der Krise der Lebensmitte, angesichts verpasster Gelegenheiten das eitle Selbst unendlich bedauernd und auf allerlei Mittelchen sinnend, sich für Versäumtes schadlos zu halten. Der Pakt mit einem gleichermaßen abgeschmackten wie pointensicheren Subalternteufel zählt dazu und ebenso die Affäre mit einem frischen Blut wie Gretchen.
Der virtuose Umgang mit allen diesen das Drama scheinbar abwertenden Banalitäten, sie mit souveränem Unernst zu behandeln, bezeichnet in Wahrheit Goethes Ingenium. Mag sich die Gelehrtentragödie noch so inflationär in sentenzentauglichen Grübeleien ergehen, unter den Kostümen klappern noch immer die Gelenke der Figuren aus dem Goethe zum Stück inspirierenden Puppenspiel. Gut denkbar, der Olympier erfreute sich diebisch daran und lachte schallend wie Zeus.
Einen Hinweis zu seiner Sicht auf >Faust< gibt Goethe im Gespräch mit Eckermann vom 6. Mai 1827: „Die Deutschen sind übrigens wunderliche Leute! – Sie machen sich durch ihre tiefen Gedanken und Ideen, die sie überall suchen und überall hineinlegen das Leben schwerer als billig. – Ei! So habt doch endlich einmal die Courage, Euch den Eindrücken hinzugeben, Euch ergötzen zu lassen […]; aber denkt nur nicht immer, es wäre Alles eitel, wenn nicht irgend abstrakter Gedanke und Idee wäre!“