Jüdisches Tagesdatum:
19 Sivan 5785

(15/06/2025)

  • Bühne
  • Buch
  • Reise
  • Kunst & Architektur
  • Politik & Gesellschaft
  • Kommentar

Schwarzer Stoff als rotes Tuch

Erschienen: 3. Februar 2020
Anzahl der Aufrufe: 9
Neues Opernhaus in Florenz – Foto: Michael Kaminski

Gegen die Trauerbeflaggung von Bühnenbildern

Während meines Studiums saß ich in der Frankfurter Oper neben dem Intendanten eines mittleren deutschen Hauses. Meine Mutter und dessen Frau empfanden gegeneinander herzliche Abneigung. Da er aber allein gekommen war, ließ sich des gemeinsamen Bekanntenkreises und der zivilen Umgangsformen
halber eine kleine Unterhaltung nicht vermeiden. Sie verlief angenehmer als erwartet. Wie regte sich aber der Mann auf, als der rote Hauptvorhang ein wenig durchhing und die Versuche der Straffung dazu führten, dass der Lappen sich um einige Zentimeter hob und darunter einen schmalen Lichtstreifen freigab. Der eben noch zivil konversierende Theaterleiter geriet schier aus der Fassung. Mir schien die Sache eine Kleinigkeit. Nicht der Rede wert und der Intendant eine hypersensible Künstlernatur. Hätte ich mich damals nur an die eigene Nase gefasst, würde ich bemerkt haben, dass es um mich, was vergleichbare Empfindlichkeiten anlangt, keinesfalls besser bestellt war. Und ist.

Vor einigen Tagen erfuhr ich das aufs neue. In Florenz. Seit
2014 besitzt die toskanische Metropole ein am Rand der Altstadt errichtetes
neues Opernhaus, dessen architektonische Verdienst sich mit dem der ikonisch
gewordenen Renaissancebaukunst der Stadt messen darf. Der 1800 Besucher
fassende Saal deutet das klassische Hufeisen seines Grundrisses durch die kühne
Kurvatur des beinahe direkt vom Parkett wie schwerelos aufsteigenden Ranges
völlig neu. Die Sessel sind bequem wie sonst kaum irgendwo auf der Welt. Das
Portal ist breit, die Bühne weiträumig. Die jüngste Produktion von Franco
Alfanos veristischer Oper >Risurrezione< nach Tolstojs
>Auferstehung< wirkte darauf arg verloren. Die schwarzen Vorhänge, mit
denen die Szene seitlich abgehängt war, erdrückten das Bühnenbild ebenso, wie
ein allzu mächtiger Goldrahmen die fragilen Gestalten eines zartfarbenen
Gemäldes optisch zerquetschen würde. Diese Schals oder Schenkel genannten
Stoffbahnen, die von den Theaterfotografen selbstredend nicht ins Visier
genommen werden, stören mich seit früher Jugend.

Mag sein, damals beklagte ich den Eingriff in die
Bühnenillusion, der mich daran erinnerte, dass der Zauberwald eben kein
tatsächlicher war. Im Verein damit beschworen die schwarzen Schals zusätzlich
den Eindruck von Sparmaßnahmen herauf, denen die Seitenwände für den Thronsaal
des Königspalastes zum Opfer gefallen waren. Später wandelte sich der Grund für
meine Abneigung. Längst ließ mich der Illusionismus kalt. Zum Beweis dient mir
Verdis >Macbeth< in der unvergesslichen Regie von Ian Judge bei den
Wiesbadener Maifestspielen mit der für die Lady wie geschaffenen von der Queen
zur >Dame< geadelten Josephine Barstow. Das die Schauplätze mit nur
wenigen Versatzstücken andeutende Bühnenbild ermöglichte faszinierende Blicke
in den Bühnenturm mit seinen Galerien und der Obermaschinerie, auf deren scheinwerferbestückten
zuweilen bis knapp über den Bühnenboden herabgefahrenen Zugstangen das optische
Hauptaugenmerk lag.  Wer es geschaffen
hat, daran erinnere ich mich nicht mehr und nachzuschlagen fiele schwer, da das
Programmheft verloren ging.

Seither jedenfalls blicke ich, falls die Produktion damit
überzeugt, unirritiert  selbst auf die
kahlen Brandmauern des Bühnenturms. Fortgesetzt aber stoße ich mich an
schwarzen Seitenschals als immerdar überflüssiger Zutat. Dass mir die
Trauerbeflaggung Ende des vergangenen Jahres in der Scala bei der
>Ägyptischen Helena< und zusätzlich zu Beginn dieses Jahres im
Florentiner Teatro del Maggio Musicale vor Augen kam, verdross mich durchaus. Sprengt
die Opernhäuser nicht in die Luft, aber reißt endlich diese schwarzen Fetzen
herunter!

Vorheriger Beitrag
Rembrandt als Dramatiker
Nächster Beitrag
Zweifelhafter Dienst an guter Sache

Neueste Beiträge

Tipp

Murano, San Pietro Martire

Erschienen: vor 3 Tagen

Die Lage am Zusammenfluss von Canale degli Angeli und rio dei Vetrai ist prominent, die Architektur der nach einem Brand 1511 außen in den spätgotischen Formen des…

Kunst & Architektur

Kritische Besichtigung der Lateranbasilika. Folge 3

Erschienen: vor 4 Tagen

Der Chorraum der Lateranbasilika ärgert. Historismus der unangenehmsten Sorte aus den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Pseudo-rekonstruktiv. Gänzlich ohne Originalität. Geistlos…

Kuratierte Beiträge

THE JERUSALEM POST

Erschienen: vor 1 Woche
Ein spätantikes Mosaik aus der Negev-Wüste widerlegt die Klischees von der prinzipiellen Steifheit in der Endphase der römischen Kunst. Lesen Sie hier: https://www.jpost.com/archaeology/article-855613
Kuratierte Beiträge

THE GUARDIAN

Erschienen: vor 1 Woche

Die Literatur der jungen Britin Sara Sams greift mitten hinein ins volle Leben…

Kuratierte Beiträge

NACHTKRITIK

Erschienen: vor 1 Woche

In seinem Essay fragt Nicola Bremer nach der gesellschaftlichen Konsequenz eines Theaters…

Kategorien

Kuratierte Beiträge 59

Bühne 30

Politik & Gesellschaft 14

Kunst & Architektur 12

Buch 7

Reise 7

Kommentar 5

Tipp 3

KURATIERTE BEITRÄGE

THE JERUSALEM POST

Erschienen: 5 Juni um 13:14 Uhr
Ein spätantikes Mosaik aus der Negev-Wüste widerlegt die Klischees von…
Beitrag lesen

THE GUARDIAN

Erschienen: 5 Juni um 12:56 Uhr

Die Literatur der jungen Britin Sara Sams greift mitten hinein ins volle Leben…

Beitrag lesen

NACHTKRITIK

Erschienen: 5 Juni um 12:41 Uhr

In seinem Essay fragt Nicola Bremer nach der gesellschaftlichen Konsequenz eines Theaters…

Beitrag lesen

JÜDISCHE ALLGEMEINE

Erschienen: 5 Juni um 12:17 Uhr

Thomas Mann empfand sich als Freund jüdischer Menschen. Ob diese aber…

Beitrag lesen

ARCHÄOLOGISCHER ANZEIGER

Erschienen: 5 Juni um 12:05 Uhr

Manche seiner Periodika stellt das Deutsche Archäologische Institut zum offenen Zugang…

Beitrag lesen

NEUE ZÜRCHER ZEITUNG

Erschienen: 8. Dezember 2024
Gobelins werden als Kunstform heute kaum noch ernst genommen. In…
Beitrag lesen

DAGENS NYHETER

Erschienen: 8. Dezember 2024
Nach 140 Jahren redaktioneller Arbeit liegt das 107 Kilo wiegende…
Beitrag lesen

LE MONDE

Erschienen: 1. März 2024
Inzwischen wird gefordert, dass Übersetzende der ethnischen oder sonstigen Minderheit…
Beitrag lesen

DAGENS NYHETER

Erschienen: 1. März 2024
Leif Zern sinniert über den Wandel des Repertoires an schwedischen…
Beitrag lesen

LA STAMPA

Erschienen: 1. März 2024
In Kriegszeiten kommen unangenehme Wahrheiten wie die zutage, dass sich…
Beitrag lesen

Kontakt

info@kultur-kaminski.de

Rechtliches

Impressum
Datenschutz

 

© 2025 Copyrights by Michael Kaminski. All rights reserved.

 

Diese Website verwendet Cookies, um Ihr Nutzungserlebnis zu verbessern. Wenn Sie die Seite weiterhin nutzen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu.